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Mein Bibelverständnis

 

"Die Bibel ist Gottes Wort." Diese Aussage würde ich bejahen - aber dieser Satz wird von verschiedenen Christen ganz verschieden interpretiert. Ich kann die entsprechende Diskussion an dieser Stelle auch nicht angemessen behandeln. Stattdessen möchte ich im Folgenden zum Nachdenken anregen. 

 

Sind die biblischen Texte glaubwürdig? Sind sie wörtlich wahr?

 

Zuerst einmal muss die Frage nach der Existenz Gottes geklärt werden. Diese ergibt sich für mich zwingend aus der Existenz der Schöpfung. Der Begriff "Schöpfung" setzt gewissermassen aber schon die Existenz eines Schöpfers voraus, deshalb muss man zuerst argumentieren, warum unser Universum und insbesondere das Leben auf unserer Erde die Bezeichnung "Schöpfung" verdient. Die Wissenschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten Berge von entsprechender Evidenz angehäuft, das entsprechende übergeordnete Argument nennt man "fine-tuned universe". Interessanterweise empfinden viele Menschen den Atheismus als rationalere Weltanschauung und den Glauben an einen Schöpfer als abergläubisch oder naiv. Wenn man aber keine Erklärung für die Existenz und den Ursprung des Universums abgibt und gleichzeitig jeden Erklärungsversuch, welcher ausserhalb der materiellen Welt liegt, ablehnt, dann bedeutet dies doch, dass man das Universum als "ungeschaffen" betrachtet, was in den Augen der Atheisten genau so inakzeptabel sein sollte wie die Existenz Gottes, welcher nach biblischem Verständnis ungeschaffen ist. (Das ist übrigens der Grund, warum die Frage "Wer hat denn Gott geschaffen?" logisch nicht zulässig ist.)

 

Als zweites muss man sich der Frage widmen, ob die biblischen Erzählungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Alter der Erde, überhaupt stimmen können. Der Verweis auf den Konsens der Wissenschaft bezüglich der Evolutionslehre macht es sich hier viel zu einfach. Tatsächlich ist es nämlich schon seit Jahrzehnten mathematisch erwiesen, dass die Evolutionstheorie als Erklärung des Lebens und der Arten nicht funktionieren kann (siehe hier) - aber dieses Wissen scheint noch nicht bei den Wissenschaftlern angekommen zu sein... Nach meinem jetzigen Wissensstand ist eine Weltanschauung, welche eine junge Erde gemäss biblischer Erzählung postuliert, wissenschaftlich mindestens genau so gut oder noch besser mit den geologischen und biologischen Beobachtungen in Einklang zu bringen. 

 

Der zentralste Punkt für den christlichen Glauben aber ist der Bericht von der Auferweckung Jesu Christi von den Toten. Die historische Wissenschaft kann zwar nicht eindeutig beweisen, dass diese Auferweckung stattgefunden hat, sie steht aber auch in keinem Widerspruch dazu. Im Gegenteil: Ich kenne kein überzeugendes Erklärungsmodell, welches die Ereignisse nach Pfingsten plausibel erklären könnte, wenn Jesus nicht von den Toten auferstanden wäre. Die entsprechenden Argumente werden auch von Fachleuten anerkannt. 

 

Nimmt man den Glauben an Jesus Christus als Sohn Gottes als Grundlage, dann ergibt sich daraus auch die Glaubwürdigkeit des alten Testaments, weil sich Jesus auf diese Schriften bezogen hat. 

 

Wenn die Erzählungen der Bibel, welche die Form von historischen Berichten haben, keine Glaubwürdigkeit hätten, ergäbe sich aus meiner Sicht ein Problem mit der Ehrlichkeit der Autoren. Ein konsistentes Bibelverständnis muss, daran komme ich nicht vorbei, von ehrlichen Autoren ausgehen. Das bedeutet aber noch nicht, dass jedes Detail stimmen muss, schliesslich kann sich auch ein ehrlicher Autor irren. Hier käme man nur mit der Idee der wörtlichen "Inspiration" weiter, aber erstaunlicherweise sind entsprechende Vorstellungen jünger als die Reformation. 

 

Früher war ich der Überzeugung, dass die Bibel gewissermassen bis auf den kleinsten Buchstaben irrtumsfrei sei. Deshalb bin ich sehr erschrocken, als ich vor Jahren die Diskrepanz zwischen Matth. 9,18 und Mark. 5,23 (Auferweckung von Jairus' Tochter) entdeckte. In meinen Augen gibt es keine Möglichkeit, die beiden Erzählungsvarianten zu harmonisieren. Streng logisch ist für mich deshalb die absolute wörtliche Irrtumsfreiheit der Bibel keine sinnvolle Sichtweise. Wenn man, um beim Beispiel von Jairus zu bleiben, aber davon ausgeht, dass zwei Augenzeugen oder Geschichtsschreiber ehrlich von einem Ereignis berichten, welches tatsächlich stattgefunden hat, dann würde man solche kleinen Varianten nicht nur tolerieren, sondern durchaus auch erwarten. 

 

Zusammenfassend ergibt sich folgendes: Die biblischen Texte sind von ehrlichen Autoren sorgfältig verfasst worden und stehen grundsätzlich nicht im Widerspruch zur Wissenschaft. Der Zweck der Heiligen Schrift besteht aber vor allem darin, die Inhalte der Reden und Schriften der Propheten, Apostel und vor allem von Jesus Christus sowie den relevanten historischen Verlauf von Gottes Heilsgeschichte mit seinem Volk wiederzugeben und zu bewahren. Für diesen Zweck muss nicht jedes historische Detail stimmen, im Gegenteil: Kleine Widersprüche legen nahe, dass die Texte nicht harmonisiert wurden, und erhöhen damit sogar noch die Glaubwürdigkeit. 

 

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Die Autorität der Heiligen Schrift als Gottes Wort

 

Warum nun nennt man die Heilige Schrift auch "Gottes Wort"? Auch Jesus Christus wird "Gottes Wort" genannt. Bedeutet dies, dass Jesus Christus und die Heilige Schrift gewissermassen äquivalent sind? Ich würde dies verneinen: Jesus Christus ist der Herr der Heiligen Schrift. Die Bibel kann man "zur Hand nehmen", Jesus Christus nicht. Jesus Christus ist absolut fehlerfrei, aber die Heilige Schrift enthält nur schon aufgrund der wiederholten Abschrift der Texte kleine Ungenauigkeiten. Aber auch Fälschungen sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen, was durch das Beispiel von 1. Joh. 5,7 ("Comma Johanneum") belegt werden kann. Der Grund, warum man sowohl Jesus Christus als auch die Heilige Schrift "Gottes Wort" nennt, ist folgender: Es geht in beiden Fällen darum, dass Gott sich mitteilt. Jesus Christus hat die Worte Gottes gesprochen, und in der Heiligen Schrift finden wir die relevanten Inhalte, die uns Gott mitteilen wollte, schriftlich überliefert. Aber auch eine Predigt des Evangeliums kann "Gottes Wort" genannt werden. 

 

Die Autorität der Heiligen Schrift in Fragen des Glaubens hängt nun nicht einfach in der Luft. Vielmehr ergibt sie sich aus der Autorität Jesu und, aufgrund seiner Berufung, aus der Autorität der Apostel. Wenn eine Frage des Glaubens geklärt werden muss, dann hat ein biblischer Text deshalb das grösste Gewicht, weil wir so dem Original des Zeugnisses Jesu und der Apostel am nächsten kommen. Es geht also nicht darum, dass die Bibel sozusagen schon von Ewigkeit her im Himmel existiert hätte, sondern man muss sie mit der gleichen Nüchternheit handhaben, wie dies bei anderen historischen Texten selbstverständlich ist. Wie so häufig wohnt Gottes Vollkommenheit inmitten der menschlichen Unvollkommenheit. 

 

Für mich ist das wichtigste Vermächtnis des Reformators Martin Luthers die Rückbesinnung auf die Heilige Schrift als oberste Autorität des Glaubens. Durch die Übersetzung der Bibel in die Alltagssprache wurden die Inhalte jedem Laien zugänglich gemacht. Ich würde aber sogar noch einen Schritt weitergehen: Ausserhalb der Heiligen Schrift braucht es keine bindenden Glaubensbekenntnisse, welche Begriffe und Erklärungen enthalten, die in der Bibel nicht zu finden sind (mehr dazu im Abschnitt Gemeinde). 

 

Der Begriff "Autorität" lässt schnell den Gedanken an Unterdrückung aufkommen, aber genau das Gegenteil ist der Fall: Die alleinige Autorität der Heiligen Schrift in Fragen des Glaubens garantiert die Glaubens- und Gewissensfreiheit eines jeden Christen. Genau so wie die Verfassung eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats die Grund- und Freiheitsrechte eines jeden Einzelnen garantiert, so "beschützt" uns die Bibel vor jedem Gewissenszwang durch menschliche Dogmen und Glaubensbekenntnisse. Weder akademische Titel noch die Übereinstimmung mit der Mehrheitsmeinung können die Korrektheit einer Überzeugung garantieren. Dass die Erde eine Kugel ist, entsprach auch in denjenigen Zeiten der Wahrheit, als die Mehrheit aller Wissenschaftler und Experten der Überzeugung waren, sie wäre eine Scheibe. 

 

Bibelauslegung durch "Offenbarung"?

 

Für die meisten Christen ist folgendes Grundkonzept der Bibelauslegung (Exegese) selbstverständlich: Man fragt als erstes nach der Bedeutung eines Textes aus der Sicht eines damaligen Hörers oder Lesers. Ich will nicht behaupten, dass gründliche Bibelexegese eine einfache Aufgabe ist. Es gehört dazu eine gute Kenntnis der alten Sprachen und des damaligen kulturellen und historischen Kontexts. Nun sind aber nicht alle Texte der Bibel gleich schwer zugänglich. Ich bin überzeugt, dass die wichtigsten Inhalte des Evangeliums auch von Kindern mühelos verstanden werden können. In diesem Zusammenhang ergibt sich für mich folgender Grundsatz: Die Bedeutung einer biblischen Aussage kann nach dem einfachen und konventionellen Textverständnis erschlossen werden. Gott ist nicht ein Gott der Unklarheit, sondern der Klarheit. 

 

Nun existiert in der Christenheit aber auch ein anderes Konzept der Bibelauslegung, welches in verschieden starkem Mass betont wird, nämlich: Die Bedeutung von Bibeltexten muss durch übernatürliches göttliches Wirken "offenbart" werden. Nun bezweifle ich zwar nicht, dass wir die Hilfe des Heiligen Geistes brauchen, um die biblischen Inhalte recht zu verstehen. Aber das hat vielmehr damit zu tun, dass das menschliche Denken durch "confirmation bias" und Unehrlichkeit verdunkelt ist, und nicht damit, dass Gott biblische Texte bewusst unklar schreiben liess, damit nur die Auserwählten den tatsächlichen Sinn verstehen können. Ein solcher Gott könnte nicht ehrlich und aufrichtig genannt werden. Ich meine also, etwas zugespitzt formuliert: Die Bibel IST die Offenbarung, sie muss nicht offenbart werden. 

 

An dieser Stelle möchte ich ein prominentes Beispiel erwähnen, mit welchem Bibelauslegung anhand übernatürlicher "Offenbarung" gerechtfertigt wird. In Luk. 4,17-21 liest Jesus einen Abschnitt aus dem Propheten Jesaja, nämlich 61,1-2. Dort wird sowohl das Gnadenjahr des HERRN als auch einen Tag der Rache angekündigt. Jesus aber liest nur die erste Hälfte von Vers 2 und lässt den "Tag der Rache" weg. Weil man implizit annimmt, dass der Tag der Rache erst bei der Wiederkunft Jesu stattfinden wird, dient dieses Beispiel als Beleg dafür, dass prophetische Aussagen zeitlich weit auseinander liegende Ereignisse in einem einzigen Satz enthalten können, und man nur durch Offenbarung wissen könne, wo der entsprechende Satz "geteilt" werde muss (gemäss einer irrtümlichen Auslegung von 2. Tim. 2,15). Aber das Fundament dieser Argumentation hält nicht, denn die Annahme, der Tag der Rache liege 2000 Jahre vom Beginn des Gnadenjahres entfernt, müsste ja erst noch bewiesen werden. Viel plausibler ist, dass Jesaja mit dem Tag der Rache die Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. gemeint hat, und diese steht in direktem Zusammenhang mit Jesu erstem Kommen. Mehr zu diesem Thema findet man im Abschnitt Endzeit

 

In der Endzeit-Botschaft von William Branham wird das Konzept der übernatürlichen Offenbarung so weit getrieben, dass klarste Aussagen wie z.B. "Adam erkannte seine Frau Eva, und sie empfing und gebar den Kain" (1. Mose 4,1) nicht bedeuten, dass Adam der Vater Kains war. Stattdessen könne man durch "Offenbarung" (z.B. von 1. Joh. 3,12) erkennen, dass Kain beim Sündenfall vom männlichen "Schlang" gezeugt wurde (mehr dazu hier). Wahrscheinlich schütteln die meisten Christen über eine solche Bibelauslegung den Kopf. Aber wie sieht es mit dem in der Christenheit mehrheitlich anerkannten Dogma aus, dass Jesus Gott selber sei? Gemäss der Bibel ist er nämlich sein Sohn. Wieso ist es so schwierig, zu sehen, dass sich die beiden Aussagen "Jesus ist Gott" und "Jesus ist Gottes Sohn" grundsätzlich widersprechen, insbesondere im Kontext eines Glaubens an einen einzigen Gott? Mehr dazu im Abschnitt Gottheit.

A Luther Bible from 1545
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