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Johannes 1,1

 

"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott."

Es ist mir in diesem kleinen Rahmen sicher nicht möglich, diese Bibelstelle angemessen zu behandeln. Viele Trinitarier halten diesen Vers für die zentrale Bibelstelle, welche sowohl die Präexistenz des Sohnes Gottes als auch die Pluralität in der Einheit behandelt. Einen entsprechenden Vortrag, der sich mit Joh. 1,1 zur Verteidigung der Trinitätslehre befasst, hat R.C. Sproul gehalten. 

 

Das griechische Wort, das hier mit "Wort" übersetzt wird, ist "logos", und hat unter anderem die Bedeutung von Vernunft, Sinn, Sprache, Rede, Wort etc. Es muss als Gegensatz zum Wort "mythos" verstanden werden, schliesslich leitet sich unser deutsches Wort "Logik" vom Wort "logos" ab. 

 

Das trinitarische Argument funktioniert in etwa folgendermassen: Mit "das Wort war bei Gott" wird das Wort klar von Gott unterschieden, und mit "das Wort war Gott" wird die Einheit von Wort und Gott bekräftigt. Ganz ähnlich klingt es in der Trinitätslehre: Der Vater und der Sohn müssen zwar als verschiedene Personen unterschieden werden, aber trotzdem sind sie beide (zusammen mit dem Heiligen Geist) nur ein Gott. Nun möchte ich an dieser Stelle an den gesunden Menschenverstand appellieren: Trinitarier meinen also, dass dieser Satz im mathematischen Sinne von "X war neben Y, und X war gleich Y" gelesen werden muss. Das ist einfach ein glatter Widerspruch!

 

Als das Christentum entstand, bestand die Gemeindeleitung zuerst aus Juden. Diese haben die hebräische Denkweise verstanden, die Joh. 1,1 zugrunde liegt. Später, in den kommenden Jahrhunderten, waren die führenden Kirchenführer nicht mehr Juden, sondern Heiden, deren Denken von der hellenistisch-griechischer Philosophie beeinflusst war. Deshalb hat man die Sätze "das Wort war bei Gott" und "das Wort war Gott" ganz im ontologischen Sinn versucht zu verstehen, was aber den obigen Widerspruch verursachte. Der ganze Prolog von Johannes (Joh. 1,1-18) macht aber viel mehr Sinn, wenn man versucht, ihn aus der ursprünglichen hebräischen Perspektive zu lesen. 

 

Es gibt verschiedene unitarische Auslegungen von Joh. 1,1. Eine Möglichkeit, die z.B. von Bill Schlegel vertreten wird, geht davon aus, dass "Im Anfang" zwar sprachlich auf 1. Mose 1,1 anspielt, dass es in Joh. 1,1 aber nicht um den Schöpfungsbericht in 1. Mose 1,1 geht, sondern um den Anfang der neuen Schöpfung in Jesus Christus. Ein Blick auf die Anfänge der vier Evangelien und des ersten Johannesbriefs lässt diese Interpretation plausibel erscheinen:

 

Matth. 1,1: "Buch des Ursprungs Jesu Christi..."

 

Mark. 1,1: "Anfang des Evangeliums Jesu Christi..."

 

Luk. 1,2: "... wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind..."

 

Joh. 1,1: "Im Anfang war das Wort..."

 

1. Joh. 1,1: "Was von Anfang an war, ... und unsere Hände betastet haben vom Wort des Lebens..."

 

Ich möchte diesen Ansatz hier nicht weiterverfolgen, auch wenn ich ihn nicht ablehne, sondern stattdessen diejenige Interpretation kurz erläutern, welche von Sir Anthony Buzzard vertreten wird (siehe z.B. das Buch "The Doctrine of the Trinity - Christianity's Self-Inflicted Wound" von Buzzard und Hunting). Um diese Interpretation zu verstehen, müssen wir Joh. 1,1 mit Spr. 8 vergleichen. Da steht z.B.:

 

"Ruft nicht die Weisheit?" (8,1)

 

"Ich, die Weisheit, bin die Nachbarin der Klugheit" (8,12)

 

"Der HERR hat mich geschaffen als Anfang seines Weges, als erstes seiner Werke von jeher. Von Ewigkeit her war ich eingesetzt, von Anfang an, vor den Uranfängen der Erde." (8,22-23)

 

Was wir hier sehen, ist eine Personifizierung der Weisheit. Niemand würde aus dieser Stelle ableiten, dass die Weisheit eine wirkliche Person im Sinne der Trinität darstellt. Und wenn doch: Darf man dann fragen, welche Person die "Klugheit" aus Vers 12 ist? Und gemäss trinitarischer Interpretation ist der Sohn Gottes nicht geschaffen, aber die Weisheit bezeichnet sich in Spr. 8,22 als von Gott geschaffen, und gleichzeitig als "von Ewigkeit her eingesetzt". Also kann das Wort "Ewigkeit" hier nicht "ungeschaffen" bedeuten. 

 

Mit dem Satz "Im Anfang war das Wort" hat Johannes also gesagt, dass im Anfang ein Plan, eine Absicht, ein Sinn war, mit welchem Gott die Welt schuf. Und diese Absicht hatte schon von Anfang an den Sohn Gottes, den wirklichen Menschen, wie er von Gott gedacht war, im Blick. Der Vers fährt fort:

 

"und das Wort war bei Gott" (1,1)

 

Dies scheint die Redeweise der Hebräer gewesen zu sein. Wenn jemand einen Plan, eine Absicht hatte, sagte er, "der Plan ist bei mir", was gleichbedeutend war mit "ich habe den Plan". 

 

"und das Wort war Gott" (1,1)

 

Wenn man diesen Satz nicht ontologisch versteht, dann kann man ihn auch so übersetzen: "Was Gott war, das war das Wort" (tatsächlich gibt es solche Übersetzungen im englischen Sprachraum: "what God was, the Word was"). Dies bedeutet, dass das Wort die gleichen Eigenschaften wie Gott besass. Und noch ein Hinweis: Wenn man sich den Satz auf Hebräisch vorstellt, dann würde da stehen: "Das Wort ist elohim", und das könnte auch so übersetzt werden: "Das Wort ist mächtig" (siehe den Vortrag von Sid Hatch, ab 28:25min). Schliesslich, in Vers 14, steht:

 

"Und das Wort wurde Fleisch"

 

Dies wird von Trinitariern als die Inkarnation interpretiert: Der ewige Sohn Gottes wurde Fleisch, also Mensch. Ein Problem bei dieser ontologischen Interpretation ist, dass die Trinitätslehre eigentlich etwas anderes besagt, nämlich dass Gott der Sohn nur menschliches Fleisch "anzog" und gleichzeitig Gott blieb. Wenn er wirklich Mensch geworden wäre, dann hätte er nicht mehr Gott sein können, denn Gott ist kein Mensch. Diesen Satz so zu interpretieren, macht also keinen Sinn. Viel plausibler ist die Interpretation, dass Gottes Absicht, sein Plan, sich manifestierte und Wirklichkeit wurde, als der Mensch Jesus Christus geboren wurde. 

 

Trinitarier betreiben bei ihrer Interpretation von Joh. 1,1 also Eisegese, wenn sie "Im Anfang war das Wort" so lesen, als würde da "Im Anfang war der Sohn" stehen. Aber das steht da nicht! Warum sollte Johannes, wenn er wirklich den Sohn meinte, dann so kryptisch den Begriff "logos" benützen? 

Weiter zu Joh. 5,18

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