Gottes Gnade verstehen
Auf das gute Erdreich gesät aber ist es bei dem, welcher das Wort hört und versteht; der bringt dann auch Frucht... (Matth. 13,23)
Philipper 2,5-8
"Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war: welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hier er's nicht für einen Raub, Gott gleich sein, sondern entäusserte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden, er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist."
Diese Passage ist für Trinitarier ein Schlüsseltext, aus welchem sie die Präexistenz Jesu beweisen wollen. Die Worte "in göttlicher Gestalt war" interpretieren sie im Sinne von "Gott im Himmel war" und die Worte "entäusserte sich selbst" verstehen sie als Umschreibung der Inkarnation (ein Wort, das die Bibel nicht kennt), also im Sinne von "wurde Mensch".
Nun muss man sich aber auch mit einer Prise gesundem Menschenverstand fragen, ob das sinnvollerweise die von Paulus beabsichtigte Bedeutung sein kann. Im Folgenden möchte ich die Passage durchgehen und belegen, dass hier vom Menschen Jesus Christus die Rede ist, und dass diese Textstelle auf den Sündenfall anspielt, welchen Jesus durch seinen Tod umkehrte. Ich verweise auf ein Video vom Kanal "The Trinity Delusion".
"Ein jeglicher sei gesinnt"
Hier wird uns also ein Situation vorgestellt, an welcher wir uns ein gutes Beispiel nehmen sollen. Nun sind wir Menschen, und es macht deshalb viel mehr Sinn, dass die beschriebene Situation auch von einem Menschen handelt, und nicht von einem Gott, dessen Situation wir in keinerlei Weise nachempfinden könnten.
Um die Passage Phil. 2,5-9 zu verstehen, ist es notwendig, auch die vorangehenden Verse (den Kontext!) zu beachten, denn Phil. 2,5-9 ist gewissermassen das Beispiel Jesu, welches zur Erläuterung und Verdeutlichung von Phil. 2,1-4 gebraucht wird: "... dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einhellig seid. Nichts tut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demut achte einer den andern höher denn sich selbst, und ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sonder auch auf das, was des andern ist." Das Wort "Sinnes" muss man parallel zum Wort "gesinnt" verstehen.
"wie Jesus Christus auch war"
Es geht hier um Jesus Christus. Der Name "Jesus" wurde gemäss Matth. 1,21 und Luk. 1,31 einem Menschen gegeben, welcher geboren wurde. Der Titel "Christus" bedeutet "Gesalbter" und ist ein menschlicher Titel, denn Gott muss nicht gesalbt werden, sondern Er ist derjenige, der mit seinem Geist salbt.
"ob er wohl in göttlicher Gestalt war"
Wenn die trinitarische Interpretation korrekt wäre, dann müsste hier vielmehr "ob er wohl Gott selber war" stehen. Aber die Formulierung "göttliche Gestalt" erinnert viel mehr an den Schöpfungsbericht, als der Mensch im Bild Gottes geschaffen wurde (1. Mose 1,27). In der englischen King James Bibel wird es so übersetzt: "in the form of God". Das griechische Wort "morphe" (Gestalt/Form) kommt im neuen Testament, abgesehen von dieser Passage im Philipper, nur noch in Mark. 16,12 vor: "... offenbarte er sich unter einer andern Gestalt...", es geht also um die äusserliche Erscheinung. In Kol. 1,15 steht, dass Jesus "das Ebenbild des unsichtbaren Gottes" ist, also geht es auch dort um die äusserliche Erscheinung, weil man Gott selber nicht sehen kann. Das ist auch in Joh. 14,9 gemeint: "Wer mich sieht, der sieht den Vater".
"hielt er's nicht für einen Raub, Gott gleich sein"
Dies wird aus trinitarischer Sicht so verstanden, dass Jesus sein Gleichsein mit Gott nicht "festhielt". Aber für etwas, das man rechtmässig besitzt und nicht festhält, ist das Wort "Raub" reichlich unpassend. Vielmehr werden wir hier ganz deutlich an den Sündenfall erinnert, als sich der Mensch das Gleichsein mit Gott verbotenerweise "rauben" wollte: "Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben, sondern Gott weiss, dass, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist."
Trinitarier scheinen die Worte "Gott gleich sein" mit dem obigen "in göttlicher Gestalt war" gewissermassen gleichzusetzen, aber es handelt sich hier um einen Kontrast! Beim Sündenfall war der Mensch "im Bild Gottes", wollte aber "Gott gleich sein", das sind zwei verschiedene Dinge. Aber Jesus hat den Sündenfall umgekehrt: Er war zwar das "Ebenbild Gottes", wollte aber nicht das "Gleichsein mit Gott rauben".
"sondern entäusserte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an"
Die entscheidenden Fragen sind: Was ist mit "entäussern" gemeint, und wann fand dieses "entäussern" statt? Für Trinitarier bedeutet "entäussern", dass Gott der Sohn auf gewisse göttliche Eigenschaften verzichtete, so dass er z.B. sagen konnte, er wisse den genauen Zeitpunkt der Zerstörung des Tempels auch nicht. Das "entäussern" fand dementsprechend statt, als Gott der Sohn aus dem Himmel in den Schoss der Jungfrau Maria herabstieg (Inkarnation). Dies sind Annahmen, die man nicht aus dem Text beweisen kann.
Wenn man das Wort "sondern" am Beginn dieses Textteils beachtet, dann muss das "entäussern" und das "annehmen der Knechtsgestalt" im Gegensatz zum "Gleichsein mit Gott rauben" verstanden werden. Also: Obwohl Jesus Wunder tat und Gottes Ebenbild war, trachtete er nicht danach, Gott gleich zu sein. Stattdessen war es seine Gesinnung, Gott und den Menschen dienen zu wollen. Konkret meine ich, dass der Zeitpunkt des "entäussern" durch Vers 8 geklärt wird: Es geht um seinen Leidensweg von Gethsemane bis zum Tod am Kreuz.
Ich meine auch, dass man "Knechtsgestalt" und "göttliche Gestalt" mehr im Sinne der Handlungen und Werke Jesu und weniger als ontologische Begriffe verstehen sollte. Es geht darum, was man äusserlich von Jesus wahrnehmen konnte: Er tat Wunder und Zeichen (= göttliche Gestalt), und dann starb er den Tod eines Sklaven (= Knechtsgestalt).
"ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden"
Dies wird von Trinitariern so verstanden, dass Gott selber Mensch wurde. Im Kontext der gesamten Textpassage erscheint es mir aber sinnvoller, dass Paulus hier beschreibt, dass Jesus "gleich wie ein anderer Mensch" handelte ("Gebärden") und entsprechend wahrgenommen wurde, dass er also eben nicht danach trachtete, Gott gleich zu sein, sondern ganz Mensch blieb.
"er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz"
Mit dieser Aussage erklärt Paulus eigentlich selber, welches der Zeitpunkt des "entäussern" war. Trinitarier praktizieren bei ihrer Interpretation, Phil. 2,7 handle von der Inkarnation, Eisegese und nicht Exegese. Die Hingabe des eigenen Lebens, also der Tod, ist der stärkste Ausdruck von "entäussern" oder "leeren".
"Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist."
Bedeutsam ist hier das Wort "Darum". Wenn Jesus von Natur wegen schon immer Gott selber gewesen wäre, dann würde es keinen Sinn machen, dass Gott ihn erhöhen müsste.
Und schliesslich: Es steht hier ganz einfach nur "Gott", und auch Trinitarier werden zugeben müssen, dass damit "Gott, der Vater" gemeint ist, und nicht die Dreifaltigkeit. "Gott hat Jesus erhöht", mit dieser Aussage wird eine klare Unterscheidung zwischen Gott und Jesus gemacht.
Weiter zu Kol. 1,15-20.