Gottes Gnade verstehen
Auf das gute Erdreich gesät aber ist es bei dem, welcher das Wort hört und versteht; der bringt dann auch Frucht... (Matth. 13,23)
Gott ist der Retter aller Menschen
Ich verweise dankbar auf Karsten Risseeuw, durch den ich den entscheidenden Anstoss bekam, endgültig von der Lehre der Allversöhnung überzeugt zu sein. Ebenfalls empfehlen möchte ich einen interessanten Dokumentarfilm (auf Englisch). Und schliesslich ist das Buch "The Inescapable Love of God" von Thomas Talbott (auf Englisch) eine hervorragende biblische und philosophische Verteidigung der christlichen Allversöhnung (über das 5. Kapitel dieses Buches gibt es einen guten Vortrag). Viele der folgenden Ausführungen sind von diesem Buch inspiriert.
Das biblische Zeugnis
Die Lehre der Allversöhnung besagt, dass kein Mensch endgültig verloren gehen wird, sondern schlussendlich alle Menschen mit Gott versöhnt sein werden. Dies wird von mehreren Bibelstellen bezeugt. Ich beginne mit dem Vers, welcher für mich als entscheidender Auslöser diente, die Allversöhnung zu glauben:
"Weil wir unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt haben, darum arbeiten wir so hart und kämpfen wir, denn er ist der Retter aller Menschen, ganz besonders derer, die glauben." (1. Tim. 4,10)
Deutlicher kann man es kaum sagen. Durch den Zusatz "besonders derer, die glauben" ist ausgeschlossen, dass Gott nur potentiell die Rettung für alle Menschen ermöglicht hat, aber nur die Gläubigen wirklich gerettet werden. Nein, Gott rettet alle Menschen. (Siehe auch dieses Video.)
Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Lehre der "Allversöhnung" ausgerechnet von denen so vehement bekämpft wird, welche möglichst "bibeltreu" glauben möchten. Es steht nämlich auch geschrieben:
"… und durch ihn das All zu versöhnen auf ihn hin, durch das Blut seines Kreuzes, für alle Wesen, ob auf Erden oder im Himmel." (Kol. 1,20)
Da steht es doch praktisch wörtlich, oder nicht? Warum wollen "bibeltreue" Christen das denn nicht glauben?
Vielleicht möchte jemand einwenden, dass die Allversöhnung nur von ein paar vereinzelten Bibelstellen bezeugt wird, und dem "Gesamtzeugnis" der Heiligen Schrift widerspricht. Ist das wirklich so?
Frage: Wer ist der wichtigste Autor im Neuen Testament?
Antwort: Paulus.
Frage: Welches ist das wichtigste Buch im Neuen Testament, das von Paulus verfasst wurde?
Antwort: Der Römerbrief.
Frage: Wo ist der argumentative und theologische Höhepunkt des Römerbriefs?
Antwort: Das Ende von Kapitel 11.
Frage: Und was steht dort?
Antwort:
"Denn Gott hat ALLE beschlossen unter den Unglauben, auf dass er sich ALLER erbarme." (Röm. 11,32)
Man könnte also fast sagen: Der Höhepunkt des Neuen Testaments ist die Lehre der Allversöhnung. Aber schauen wir uns den Römerbrief etwas genauer an. Schon im Kapitel 3, Vers 3 bis 4, kann man erahnen, auf was die Argumente des Paulus herauslaufen werden: "Wenn einige untreu wurden, hebt dann ihre Untreue die Treue Gottes auf? Das sei ferne!" Dann, in Vers 9 bis 20, hebt Paulus alle Unterschiede zwischen den Menschen auf, und spricht alle gleichermassen schuldig, siehe Vers 19: "… und alle Welt vor Gott schuldig sei." Wenn es bezüglich der Sünde und der Verurteilung keine Unterschiede zwischen den Menschen gibt, warum sollte dies dann bezüglich der Rettung der Menschen anders sein? Und genau darum geht es in Kapitel 5, Vers 12 bis 19:
"Aber nicht verhält sich's mit der Gnadengabe wie mit der Sünde. Denn wenn durch die Sünde des Einen die Vielen gestorben sind, um wie viel mehr ist Gottes Gnade und Gabe den Vielen überreich zuteilgeworden in der Gnade des einen Menschen Jesus Christus." (Vers 15)
"Wie nun durch eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen." (Vers 18)
"Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten." (Vers 19)
Im Zusammenhang ist unbestreitbar, dass mit "den Vielen" immer alle Menschen (abgesehen von Jesus Christus, natürlich) gemeint sind. Und wenn diesbezüglich doch ein Zweifel bestehen sollte, dann ist Vers 18 noch deutlicher: Kein Christ würde bestreiten, dass mit "Verdammnis über alle Menschen" auch wirklich alle Menschen (ausser Jesus) gemeint sind. Warum also sollte es bei den Worten "Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen" anders sein? Ich meine, dass sich jeder Versuch, hier der offensichtlichen Schlussfolgerung der Allversöhnung auszuweichen, der Unehrlichkeit verdächtig macht.
(Zusatzbemerkung zu Vers 15: Wenn nur ein Teil der Menschheit gerettet würde, dann müsste es eigentlich heissen: "… Denn wenn durch die Sünde des Einen die Vielen gestorben sind, um wie viel weniger ist Gottes Gnade und Gabe…")
In Kapitel 9 des Römerbriefs beginnt Paulus, die Frage nach Israel zu behandeln. Warum hat der Grossteil von Israel den Messias Jesus abgelehnt? Und Vers 22 scheint tatsächlich nahezulegen, dass es Menschen gibt, welche zur ewigen Verdammnis vorherbestimmt sind: "Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit grosser Geduld ertragen die Gefässe des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren…" Aber hier ist die Lutherübersetzung nicht optimal. Gemäss der Zürcherbibel heisst es: "Wie aber, wenn Gott seinen Zorn zeigen und seine Macht kundtun wollte und deshalb die Gefässe des Zorns, die zum Verderben bereitgestellt sind, mit viel Geduld ertragen hätte…" Diese Formulierung trifft es besser: Es ist eine hypothetische Frage, keine endgültige Aussage. Und Paulus verneint später selber diese hypothetische Möglichkeit von Vers 22, und zwar im Kapitel 11. In Vers 11 heisst es dort: "So frage ich nun: Sind sie gestrauchelt, damit sie fallen? Das sei ferne!" Hier verneint Paulus explizit, dass diejenigen aus Israel, die Jesus abgelehnt hatten, endgültig verloren gehen werden. Das wird auch in Vers 28 bestätigt. Von den Israeliten, die Jesus abgelehnt hatten, sagt er dort: "Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen, aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen."
(Man kann Röm. 9,22 aber nochmal anders übersetzen. Gemäss David Bentley Hart sollte es sinngemäss so übersetzt werden: "Wie aber, wenn Gott, obwohl er geneigt ist, seine Abneigung gegen die Sünde kundzutun... trotzdem die Gefässe des Zorns mit viel Geduld erträgt... um dann den Reichtum seiner Herrlichkeit kundzutun, wenn die Zeit kommt, Gefässe der Barmherzigkeit zu erwecken." Diese Interpretation läuft darauf hinaus, dass alle Menschen zuerst Gefässe des Zorns sind, welche Gott mit viel Geduld erträgt, bis er sie zu Gefässen der Barmherzigkeit macht.)
Gegen Ende von Kapitel 11 wird schliesslich klar, dass Paulus in den Kapitel 9 bis 11 nicht nur die Frage beantwortet, warum ein grosser Teil von Israel verstockt ist. Vielmehr verbindet Paulus dieses Thema mit einem allgemeinen Prinzip, welches als eine der Hauptaussagen des gesamten Römerbriefs betrachtet werden kann: Gottes Gnade kann man nicht verdienen, sie ist immer ein unverdientes Geschenk, und zwar, indem Gott sich erbarmt (Kapitel 9, Vers 16: "So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen"). Damit Gott sich über einen Menschen erbarmen kann, muss dieser Mensch zuerst ein "Gefäss des Zorns" und ungläubig sein. Jeder Christ weiss, dass dies zumindest in Bezug auf seine eigene Person wahr ist. Und die Menschheit teilt sich nun eben nicht auf in eine Gruppe von "Gläubigen" und eine Gruppe von "Ungläubigen", sondern alle Menschen sind zuerst ungläubig, damit sich Gott über alle erbarmen kann. Und so gipfeln die Ausführungen des Paulus im oben zitierten Vers 32 von Kapitel 11: Damit sich Gott über alle Menschen erbarmen kann, schliesst er zuerst alle Menschen im Unglauben ein. Dies trifft für die Christen genau so zu wie für den Pharao zur Zeit des Exodus oder die Pharisäer zur Zeit Jesu.
Ein systematischer Ansatz
Lieber Leser, liebe Leserin, welchen der folgenden drei Aussagen stimmst du zu?
1) Gott will alle Menschen retten.
2) Gott rettet alle Menschen, die er retten will.
3) Nicht alle Menschen werden gerettet.
Es handelt sich hier quasi um ein "inkonsistentes Dreieck". Logisch betrachtet ist es unmöglich, dass alle drei Aussagen zusammen wahr sind. Man muss also mindestens eine der drei Aussagen verwerfen. Also: Welche Aussage verwirfst du?
Folgende Beobachtung ist nun entscheidend: Für jede der drei Aussagen existieren biblische "Beweistexte", welche zumindest vordergründig die entsprechende Aussage zu stützen scheinen. Für Aussage 1) könnte man z.B. 1. Tim. 2,4 anführen, für Aussage 2) z.B. Eph. 1,11, und für Aussage 3) z.B. Matth. 25,46. Calvinisten (benannt nach Johannes Calvin), welche insbesondere Gottes Vorherbestimmung betonen, verneinen Aussage 1). Arminianer (benannt nach Jacobus Arminius), welche insbesondere den freien Willen des Menschen betonen, verneinen Aussage 2). Und Allversöhner schliesslich verneinen Aussage 3). Es besteht hier also eine gewisse Symmetrie, Calvinisten, Arminianer und Allversöhner sind in Bezug auf biblische "Beweistexte" zuerst einmal im gleichen Boot.
Man kann es vereinfacht auch so formulieren: Als Antwort auf die Aussage "Wer an die Allversöhnung glaubt, ist nicht bibeltreu, denn die Allversöhnung wird z.B. von Matth. 25,46 widerlegt" kann man den Spiess einfach umdrehen: "Wer nicht an die Allversöhnung glaubt, ist nicht bibeltreu, denn die Allversöhnung wird z.B. von Röm. 11,32 bezeugt". Man kann die Allversöhnung also nicht einfach mit Verweis auf "Bibeltreue" vom Tisch wischen. Man muss tiefer graben, und sich fragen: Wie schwer wiegen die "Beweistexte" für die obigen drei Aussagen 1) bis 3) wirklich? Ich selber bin überzeugt, dass die biblische Beweislast für Aussage 3) bei genauerem Hinsehen sehr leicht wiegt. Ich möchte das im Folgenden etwas genauer begründen, indem ich das Thema von "Gottes Zorn" und "Gottes Gericht" genauer unter die Lupe nehme.
Gottes Zorn und Gottes Gericht
Der Satz "Gott ist Liebe" hat immer und überall Gültigkeit. Es folgt, dass auch Gottes Zorn und Gericht ein Ausdruck seiner Liebe sein muss. Wie ist das zu verstehen? Ziemlich einfach: Gottes Gericht hat den Zweck der Korrektur, nicht der Vergeltung, und hat schon gar nichts mit sadistischer Quälerei zu tun. Und Gottes "Zorn" bedeutet nicht, dass Gott einen Wutanfall hat. Vielmehr ist "Gottes Zorn" ein Ausdruck davon, wie wenig gleichgültig Ihm die Menschen und ihre Verirrungen sind. Das griechische Wort ist "orge" (davon kommt z.B. das Wort "Orgie"), und impliziert, dass Gott sich mit seinem Eifer für die Rettung der Menschheit nicht mehr zurückhält. Kurz gesagt: Gottes Gericht ist das letzte Mittel, mit welchem Gott die Rettung der gesamten Menschheit umsetzt.
In Offb. 20,11-15 wird das Weltgericht beschrieben. Natürlich aber muss diese Beschreibung, wie so vieles im Buch der Offenbarung, bildlich verstanden werden. Für traditionelle Auslegungen begegnet uns hier ein Paradoxon: Einerseits heisst es, "Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken" (Vers 12), aber andererseits auch, "Und wenn jemand nicht gefunden wurde geschrieben in dem Buch des Lebens, der wurde geworfen in den feurigen Pfuhl" (Vers 15). Ja, was gilt jetzt? Werden die Menschen aufgrund ihrer Werke gerichtet, oder aufgrund des Lebensbuchs? Antwort: Da es im Gericht nicht darum geht, wer endgültig verloren geht und wer nicht, ist tatsächlich beides richtig. Zuerst einmal werden alle Menschen aufgrund ihrer Werke gerichtet, auch diejenigen, deren Name im Lebensbuch steht. "Bücher werden aufgetan", und alles kommt ans Licht. Alle werden mit ihren Taten und deren Tatfolgen konfrontiert, und das ist ein erster und wichtiger Schritt in diesem Gerichtsprozess, dessen Ziel die Rettung aller Menschen ist. Zweitens geht es dann um das Buch des Lebens. Die Frage ist nun, was mit dem "feurigen Pfuhl" gemeint ist, und wer in diesen hineingeworfen wird. Ich schlage folgenden Ansatz vor: Der "feurige Pfuhl" beschreibt bildlich die Qualen, die ein unbekehrter Mensch im Prozess der Selbsterkenntnis und der Erkenntnis von Gottes Liebe und Vergebung empfindet.
Ein kleines Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, im Weltgericht erscheinen zwei Menschen: Der erste ist ein Christ, und der zweite ist ein "Ungläubiger", welcher den ersten verfolgt und misshandelt hatte. Was würde geschehen, wenn Jesus den ersten fragen würde, was mit dem zweiten geschehen soll? Würde der Christ, der in diesem Leben seinen Feind geliebt und gesegnet hat, die Verdammnis und ewige Höllenqual als Strafe fordern? Sicher nicht! Trotzdem wird der "Ungläubige" in die "ewige Pein gehen", siehe Matth. 25,46. Das ist bestimmt identisch mit dem "feurigen Pfuhl". Hier hilft uns Röm. 12,20, um die Bedeutung des "feurigen Pfuhls" besser zu verstehen: "So nun deinen Feind hungert, so speise ihn… so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln." Das Einsehen der Schuld und die Vergebung wird für die "Ungläubigen" sehr schmerzhaft sein. Und in diesem Prozess kann nichts vom alten unversöhnlichem Wesen überleben, der Mensch wird wie im Feuer geläutert.
Zu Matth. 25,46 muss ich noch auf einen häufigen Einwand antworten. Es wird nämlich so argumentiert: Wenn das "ewige Leben" kein zeitliches Ende hat, dann kann auch die "ewige Strafe" kein zeitliches Ende haben. Wäre die "ewige Strafe" zeitlich begrenzt, dann würde dies auch auf das "ewige Leben" zutreffen, was offensichtlich nicht stimmt. Das griechische Wort für "ewig" ist "äonisch", und kann sowohl eine begrenzte als auch eine unbegrenzte Zeit beschreiben. Ich gebe zu, es macht hier keinen Sinn, dass das gleiche griechische Wort in einem einzigen Vers zwei verschiedene Bedeutungen haben soll. Ich bin aber überzeugt, dass hier weder "endlos" noch "zeitlich begrenzt" die korrekte Interpretation von "äonisch" ist. Vielmehr bedeutet äonisch "betreffend des neuen Zeitalters" oder "betreffend der neuen Schöpfung". Es geht also gar nicht um eine Zeitangabe, sondern um das "Leben" und die "Strafe" des neuen Zeitalters. Das "Leben des neuen Zeitalters" (äonisches Leben) ist Leben aus Gott, und die "Strafe des neuen Zeitalters" (äonische Strafe) ist der schmerzhafte Prozess der Selbsterkenntnis und der Versöhnung. Tatsächlich ist das griechische Wort für Strafe "kolasis", und es hat die Bedeutung einer Strafe zur Besserung und Korrektur, und nicht einer Strafe zur Vergeltung.
1. Kor. 15,22-24 legt nahe, dass es nach dem Gericht eine Auferstehung für alle geben wird:
"Denn wie in Adam alle sterben, also werden in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in der für ihn bestimmten Ordnung: als Erstling Christus, danach die Christus angehören, wenn er kommen wird, danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird…"
(Hier wird häufig eingewendet, dass "also werden in Christus alle lebendig gemacht werden" nicht bedeutet, dass alle Menschen ewiges Leben erhalten. Vielmehr seien nur "alle in Christus" gemeint. Aber so hat es Paulus nicht formuliert, sonst hätte er schreiben müssen: "also werden alle in Christus lebendig gemacht werden.")
Es scheint also sehr plausibel, dass die Auferstehung in drei Phasen geschieht: 1) Christus ist bereits auferstanden. 2) Bei Jesu Wiederkunft werden die Gläubigen zu ewigem Leben auferweckt. 3) Nach dem Weltgericht werden auch alle anderen ewiges Leben bekommen.
Es ist hier hilfreich, sich etwas genauer zu überlegen, was das Wort "Tod" überhaupt bedeutet. Ich schlage folgende allgemeine Definition vor: Beim Tod eines Wesens verschwindet sein Leben, und eine leblose Sache bleibt zurück. Das ist offensichtlich der Fall beim natürlichen Tod: Das natürliche Leben verschwindet, und eine leblose Leiche bleibt zurück. Und wie sieht es bei der ersten Erwähnung des Todes in der Bibel aus? In 1. Mose 2,17 steht: "an dem Tage, da du von ihm isst, wirst du des Todes sterben." Nun ist Adam damals aber nicht am gleichen Tag gestorben. Trotzdem kann man obige Definition von "Tod" anwenden: Das Leben in der Gemeinschaft mit Gott verschwand, und übrig blieb ein "in Sünden toter" Mensch (siehe Eph. 2,5). Es scheint mir naheliegend, dass damit der "erste Tod" gemeint ist, welchem der "zweite Tod" aus Offb. 20,14-15 gegenübergestellt wird:
"Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der zweite Tod: der feurige Pfuhl. Und wenn jemand nicht gefunden wurde geschrieben in dem Buch des Lebens, der wurde geworfen in den feurigen Pfuhl."
Welches Leben verschwindet nun beim zweiten Tod? Da es sich um Menschen handelt, deren Name nicht im Lebensbuch steht, kann nicht das Leben in der Gemeinschaft mit Gott gemeint sein. Es kann auch nicht das natürliche Leben gemeint sein, denn diese Menschen sind ja schon eines natürlichen Todes gestorben. Im "feurigen Pfuhl" wird gemäss Offb. 20,14 auch "der Tod und die Hölle" vernichtet. Der zweite Tod ist der Tod des Todes, und resultiert also in Leben! Ich schlage deshalb vor, dass im zweiten Tod das sündliche Leben verschwindet. Und was dabei übrig bleibt, kann anschliessend in Christus zu ewigem Leben auferweckt werden.
Abschliessend möchte ich zum Thema "Tod" noch sagen: Jeder Mensch, auch jeder Christ, kann nur durch den Tod des "alten Menschen" erlöst werden. Tatsächlich kann man deshalb sagen, dass jeder Mensch durch Gericht und Auferstehung gerettet wird. Für die Gläubigen geschieht das Gericht schon jetzt: "Denn die Zeit ist da, dass das Gericht beginnt bei dem Hause Gottes." (1. Petr. 4,17) Wenn Menschen an Jesus gläubig werden, sind sie mit Christus gekreuzigt (Gal. 2,19), durch die Taufe mit Jesus begraben (Röm. 6,4) und erhalten ewiges Leben. Es ist sozusagen ein vorgezogenes Gericht.
Was bedeutet "verloren gehen"?
Ein häufiger Einwand ist wahrscheinlich folgender: Die Bibel bezeugt doch ganz klar, dass es auch Menschen gibt, die verloren gehen? Ja, das stimmt tatsächlich. Der Denkfehler besteht hier darin, dass man "verloren gehen" automatisch gleichsetzt mit "ewiger Verlorenheit" oder "ewiger Höllenqual" oder ähnlichem.
Der Begriff "ewige Verlorenheit" gibt es in der Bibel nicht. Und was verloren geht, kann wieder gefunden werden! Einige der bekanntesten Gleichnisse Jesu erzählen davon, dass etwas oder jemand verloren ging, dann aber wieder gefunden wurde: Luk. 15,4-7: Das verlorene Schaf wurde wieder gefunden; Luk. 15,8-10: Der verlorene Groschen wurde wieder gefunden; Luk. 15,11-24: Der verlorene Sohn wurde wieder gefunden. Ist es also nicht naheliegend, dass Gott alles, was verloren geht, wieder findet? Ich meine, dass es irgendwie auch seltsam wäre, wenn Gott einen Teil seiner Schöpfung verlieren könnte.
Jesus sagte: "des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist" (Luk. 19,10). Hat Jesus dieses Ziel nicht erreicht? Doch, bestimmt hat er das!
Als Beispiel betrachten wir noch einen der wohl bekanntesten Bibelverse: Johannes 3 Vers 16:
"Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben."
Viele Christen lesen diesen Vers so: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er alle verdammt, die nicht an seinen eingeborenen Sohn glauben." Sollte man diesen Vers wirklich so verstehen? Wohl kaum. Wenn, wie gerade ausgeführt, "verloren gehen" nicht bedeuten muss, dass etwas auf ewig verloren bleibt, was ist dann hier damit gemeint? Es muss in diesem Kontext als Gegenteil von "ewiges Leben haben" verstanden werden. Nun ist es oft hilfreich, Bibeltexte mit anderen Bibeltexten des gleichen Autors oder gleichen Buches zu vergleichen. Hier betrachten wir Joh. 11,25-26: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben." Damit wird also klar, dass Gläubige schon jetzt "ewiges Leben haben". Gemäss menschlicher Wahrnehmung sterben diese Menschen zwar auch, aber in Gottes Augen können sie nicht sterben, sondern schlafen nur (Joh. 11,11). Anders ist es bei Menschen, die nicht an Jesus Christus glauben: Sie haben kein ewiges Leben, und gehen deshalb "verloren". Die plausibelste Interpretation ist, dass damit der zweite Tod gemeint ist. Aber Gott kann auch diese Menschen wieder finden, und durch sein Gericht zur Rettung und Auferstehung führen.
Zwei weitere Einwände
Wer sich zur Allversöhnung bekennt, hört nicht selten den folgenden Einwand: "Wenn am Schluss alle gerettet werden, dann spielt es ja keine Rolle, wie man lebt und was man tut." Wer so argumentiert, hat den grundsätzlichen Gedankengang der Allversöhnung nicht verstanden. Die Aussage ist ja gerade, dass Gott alle Menschen versöhnt und rettet. Damit ist gemeint, dass schlussendlich alle Menschen von Sünde und Tod gerettet und mit Gott versöhnt sind. Und der Weg dorthin führt notfalls über die Korrektur, die durch das Gericht erreicht wird. Das Missverständnis besteht darin, dass man "Rettung" fälschlicherweise so karikiert, als würden sündige Menschen ohne jeglichen Gesinnungswandel "im Himmel sein". Nichts könnte der Allversöhnung, wie ich sie verstehe, ferner sein.
Ein weiterer Einwand ist folgender: "Wenn am Schluss alle gerettet werden, dann braucht es Jesus Christus und Golgatha überhaupt nicht." Auch das entspricht nicht dem Gedanken der Allversöhnung. Oben habe ich bereits Kol. 1,20 zitiert: "... und durch ihn das All zu versöhnen auf ihn hin, durch das Blut seines Kreuzes, für alle Wesen, ob auf Erden oder im Himmel." Alle Versöhnung mit Gott geschieht nur durch Jesus Christus und sein Kreuz.
Gerechtigkeit
Ein wichtiger Gedanke aus Talbotts Buch "The Inescapable Love of God" betrifft die Frage nach "Gerechtigkeit". Ich fasse Talbotts Gedankengang zu diesem Thema ganz kurz zusammen. Wahre Gerechtigkeit entsteht nicht dadurch, dass jemand, der einen Schaden verursacht hat, auch selber Schaden erleiden muss ("bestraft" wird). Stattdessen ist der Gerechtigkeit dann Genüge getan, wenn der ganze Schaden wieder gut gemacht ist. Worin besteht nun der Schaden der Sünde? Es ist die Trennung der Menschen von Gott, und die Trennung der Menschen untereinander. Volle Gerechtigkeit ist dann wiederhergestellt, wenn alle Menschen untereinander und mit Gott versöhnt sind. Deshalb steht in Röm. 3,21-25: "Nun aber ist ausserhalb vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart worden… Ihn hat Gott zum Sühnopfer verordnet… zum Erweis seiner Gerechtigkeit…" Gott hat also offenbart, dass und wie er Gerechtigkeit wiederhergestellt hat durch Jesus Christus, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt (Joh. 1,29).
Thomas Talbott schreibt (S. 147):
"Do I really want to insist not only that sinners ought to repent, but also that God owes it to them to forgive them when they do? - I want to claim more than that. It seems to me that all sinners, repentant or otherwise, deserve God's forgiveness, not because they have earned it, which is impossible, but because it is their inalienable right as sons and daughters of God. Merit has nothing to do with it. Sinners are entitled to God's forgiveness for the same reason a newborn baby is entitled to parental care - because it is something they desperately need and cannot live without."
Auf Deutsch:
"Möchte ich wirklich nicht nur behaupten, dass Sünder Busse tun sollen, sondern auch dass Gott ihnen Vergebung schuldet, wenn sie es tun? - Ich möchte mehr als das behaupten. Er scheint mir, dass alle Sünder, ob sie Busse tun oder nicht, Gottes Vergebung verdienen, nicht weil sie es durch Leistung erworben haben, was unmöglich ist, sondern weil es ihr unveräusserliches Recht als Söhne und Töchter Gottes ist. Leistung hat damit nichts zu tun. Sünder haben ein Recht auf Gottes Vergebung aus dem gleichen Grund, aus dem ein neugeborener Säugling ein Recht auf elterliche Fürsorge hat - weil es etwas ist, was sie verzweifelt brauchen und ohne das sie nicht leben können."
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