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Vom Nutzen des Leidens Christi


von Martin Luther (1483-1546)
(sprachlich angepasst)


 

Römer 5,8: Gott preist seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.

Wenn man von dem Leiden unsers Herrn Jesus Christus predigen will, so muss man nicht nur die Geschichte Wort für Wort den Leuten vorlesen, sondern ihnen auch erklären, warum Christus so gelitten hat und wie man dieses Leiden geniessen solle. Denn die Art und Weise, wie man es im Papsttum gemacht hat, taugt gar nichts. Da haben die Prediger, insbesondere die Mönche, sich nur darauf konzentriert, wie sie die Leute zum Mitleid und Weinen bringen könnten. Wer darin Erfolg hatte, den hielt man für den besten Passionsprediger. Deshalb hört man in solchen Predigten nichts anderes, als ein Beschimpfen der Juden und wie die Jungfrau Maria geweint, ihren Sohn gesegnet und ähnliches getan habe. Das ist aber, wie überhaupt der ganze Gottesdienst im Papsttum, nichts als nur äusserlich glänzende Heuchelei ohne Geist, woraus keine rechte Frucht und keine Besserung folgen kann.

Wenn wir aber auf die Predigten der Apostel und Propheten sehen, so finden wir eine ganz andere Weise, wie man von den Leiden unseres Herrn Christus predigen soll. Denn da sieht man, dass sie von der Geschichte nicht viele Worte machen und stattdessen sehr einfach und kurz davon reden. Aber wie man solche Leiden ansehen, fein geniessen und brauchen soll, davon können sie nicht genug reden. Was die Anzahl der Worte betrifft, so ist es eine sehr kurze Predigt, die Johannes von Christus hält, wenn er sagt: "Siehe, das ist Gottes Lamm, welches die Sünden der Welt trägt." Aber wenn man sie auseinander wickelt, so sieht man, dass sie über alle Massen viel beinhaltet, insbesondere was den Nutzen und Gebrauch betrifft, welchen wir davon haben, wenn wir es glauben.

Er nennt den Herrn Christus ein Lamm, weil er geschlachtet werden sollte. Denn die Opfer im alten Testament, wo man Kühe, Ochsen und Kälber opferte, sind alle ein Vorbild für das eine, rechte und ewige Opfer unseres Herrn Christus gewesen, der sein Leib und Leben aufopfern sollte für die Sünde der Welt, und durch sein Blut uns vollkommen reinigen sollte. Johannes begnügt sich also damit, dass er die Geschichte damit andeutet, wie Christus leiden müsse.

Indem er ihn aber nicht nur ein Lamm, sondern Gottes Lamm nennt, deutet er an, dass es ein Opfer sei, welches Gott selber geordnet hat und an welchem Gott Gefallen hat. Durch diesen Zusatz (Gottes Lamm) will er unseren Glauben erwecken, dass wir uns dieses Opfers annehmen sollen, welches Gott uns aus grundloser Güte und Liebe zugedacht hat, und uns damit zu helfen beschlossen hat. Also sollen wir, weil Gott selbst dieses Opfer verordnet hat, keinen Zweifel daran haben, dass durch dieses Opfer alles völlig fertig und vollbracht ist, was uns zur Vergebung der Sünden und zum ewigen Leben dienen soll. Denn so lautet die Predigt von Johannes: Er trägt die Sünde der Welt.

Was ist nun mit der Sünde der Welt gemeint? Nichts anderes als alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit, darin die Welt ersoffen ist, woran Gott Missfallen hat und worüber er gerechterweise in Zorn gerät. All dies hat Gott aus Gnaden von der Welt genommen, sagt Johannes, und auf seinen Sohn gelegt, der sollte dafür bezahlen, auf dass uns die Schuld und Strafe abgenommen würde.

Wer nun gemäss diesem Vers von dem Leiden unsers Herrn Jesus recht predigen oder daran denken will, der soll nicht nur predigen, wie Christus den Heiden überantwortet, gegeisselt, verspeit und an das Kreuz geschlagen wurde. Dies ist die Geschichte, die man sehr wohl gründlich predigen und wissen soll, aber es genügt noch nicht. Du sollst auch wissen und glauben, wie Johannes hier predigt, dass Christus dies um deiner Sünden willen gelitten hat, dass Gott deine Sünden ihm aufgeladen hat, und er sie in allem Gehorsam getragen und dafür bezahlt hat. Wenn du dann erkennst, dass du ein Sünder bist und Gott erzürnt hast, musst du trotzdem nicht verzagen, sondern kannst dich daran trösten, dass unser Herr Christus gelitten hat und so Genugtuung geleistet hat.

Dann kann man im Herzen auch eine Ahnung von diesem Leiden bekommen, dass nicht nur, wie in einer päpstlichen Predigt, einem die Augen übergehen, das Herz aber dürr und trocken bleibt, sondern das Herz wird dir übergehen: Erstens vor Leid weil du bekennen musst, dass die Sünde eine solch gräuliche Last ist, dass sie nur durch ein so grosses Opfer abgelegt werden konnte. Zweitens aber auch vor Freude, weil das Opfer für dich gegeben ist, damit du gewiss sein sollst, dass Gott dich um deiner Sünden willen nicht verwerfen oder verdammen will.

Auf diese Weise hat man im Papsttum von der Passion nicht gepredigt. Sehr wohl haben sie auch die Worte benützt, Christus sei das Lämmlein Gottes, das die Sünde der Welt trägt und wegnimmt, aber daneben ging es in allem Gottesdienst nur darum, als würde jeder Christ seine Sünde selbst tragen und Christus helfe ihm bloss dabei, und als hätte er nicht dafür bezahlt und jeder müsste selbst dafür bezahlen. Warum hat man sonst so hart gefastet? Warum hat man sich mit der Beichte so zermartert? Warum hat man Tag und Nacht in der Kirche verbracht, hat gesungen und gebetet, wenn man sich dadurch nicht Vergebung der Sünden erhofft und gesucht hat? Das ist aber das gleiche, als wäre das Opfer Christi nicht genug, es sei denn du hilfst mit eigenen Werken dazu und leidest auch für deine Sünde, wie Christus gelitten hat.

Wie muss man aber die Predigt verstehen, die Christus (Joh. 12,23-24) über seine Leiden hält, und spricht: "Die Zeit ist gekommen, dass des Menschen Sohn verklärt werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt's allein, wo es aber erstirbt, so bringt's viele Frucht." Mit diesen Worten will er doch sagen, dass sein Leiden viel Frucht bringen solle.

Nun sind diese Früchte aber nicht nur gute Werke, die ein Christ durch den Geist Gottes im Glauben tut, gleichwie eine Rebe, die am Weinstock bleibt, Trauben bringt. Sondern die höchste, edelste und beste Frucht ist die, von der der Herr gleich nachher sagt (V. 32): "Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen." Das heisst, durch mich, durch mein Opfer, durch mein Erhöhen am Kreuz oder Sterben sollen die Leute zu mir und in das ewige Leben kommen.

Wer nun mit eigenen Werken in den Himmel kommen will, der zieht Christus zu sich herunter, wo es doch umgekehrt sein soll. Denn Christus muss uns hinauf zu sich ziehen, oder es ist verloren. Denn nur er allein ist's, der des Teufels Reich zerstört, für unsere Sünde bezahlt und uns von der Welt aus dem Tod über sich zum Leben gezogen hat. Nicht durch unser Leiden oder Werk, sondern durch sein Leiden. Auf diese Weise predigt Christus auch in Joh. 3,14-15 von seinem Leiden: "Gleichwie Moses die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Das ist doch klar genug gesagt: Wer das ewige Leben haben will, der muss nur glauben. Denn hier erwähnt Christus kein Werk, er sagt nicht, wer das oder das tut, fastet, Almosen gibt, der werde nicht verdammt. Von solchen Werken ist Gottes Wort und Befehl schon zuvor durch Moses in den zehn Geboten ergangen, dass man sie halten und nicht brechen soll. Wer sie nun bricht, der muss deshalb mit seiner Strafe rechnen. Wer sie aber nicht bricht, sondern hält sie, so gut er kann, der kommt deshalb auch nicht in den Himmel.

Denn es ist beschlossen: Gleichwie die Juden in der Wüste durch keine Arznei gesund werden konnten, sondern nur Hilfe bekamen, indem sie die eherne Schlange ansahen, also ist der einzige Weg zur Seligkeit, dass man den Herrn Christus ansieht, das heisst, dass man sich aufgrund seines Opfers tröstet und glaubt, dass Gott um seines Sterbens willen unsere Sünde vergeben und schenken und uns selig machen will. Diese Frucht wächst einzig aus dem Tod Christi, und nicht aus unsern Werken, wie die Papst-Prediger zu unrecht lehren.

Ähnliche Predigten findet man auch in den Propheten sehr viele. Jesaja (53,5) sagt: "Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der von Gott geplagt und gemartert wurde. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt."

Das ist doch eine schöne und recht tröstliche Passionspredigt, die auch sehr wohl ins neue Testament passen würde und so deutlich formuliert ist, dass es ein Apostel nicht hätte besser sagen können. Denn dass Christus geplagt, gemartert, verwundet und zerschlagen wird, das geschieht deshalb, sagt er, weil er sich für uns dahin gegeben hat, und unsere Krankheiten und Schmerzen auf sich geladen hat, auf dass er uns Frieden schaffe, und wir geheilt würden.

Der liebe Prophet macht aus dem Herrn Christus einen Arzt und lehrt uns, dass wenn wir Frieden haben und geheilt werden wollen, wir dies nirgends sonst als nur bei dem Herrn Christus suchen sollen. Der hat eine Arznei, die heisst nicht: 'gute Werke tun, Almosen geben, fasten, beten', sondern 'für uns leiden, für uns verwundet werden, für uns zerschlagen werden, die Strafe für uns tragen.'

Darum, wenn du die Geschichte hörst, wie jämmerlich Juden und Heiden deinen lieben Herrn Christus behandelt haben, so setze in jedem Punkt dazu: das ist um meinetwillen geschehen, dass ich eine Arznei hätte, wodurch ich nicht von leiblicher Krankheit, sondern von Sünde und dem ewigen Tod erlöst und geheilt würde. Dann gebrauchst du die Geschichte vom Leiden Christi richtig und heilsam.

Nun ist aber das Leiden Christi auf zweierlei Weise eine köstliche heilsame Arznei. Erstens kann man an solchem Leiden besser als an aller anderen Strafe lernen, welch ein gräuliches Ding die Sünde ist. Denn kein Mensch, kein Engel, und keine andere Kreatur hat für die Sünde bezahlen können, nur Gottes Sohn hat's tun müssen. Also müssen wir bekennen, dass die Sünde eine unerträgliche Last ist. Deshalb sollen wir uns desto fleissiger in Gottesfurcht halten und lernen, uns vor solchem Jammer zu hüten. Denn es geschieht sehr leicht, dass man in Sünde fällt, aber wie schwer wird es einem, wieder heraus zu kommen.

Darum dient die Betrachtung des Leidens Christi erstens dazu, dass es eine köstliche Arznei gegen die Sünde ist, dass wir lernen, gottesfürchtig zu sein und uns vor Sünden hüten. Denn diese sind eine so gräuliche, unerträgliche Last, dass sie keine Kreatur tragen konnte, Gottes Sohn hat sie selbst tragen und durch einen so harten Tod dafür zahlen müssen.

Zweitens ist es auch eine Arznei gegen den Tod. Denn wer glaubt, dass der Sohn Gottes für seine Sünde gestorben ist und mit dem Tod dafür bezahlt hat, der kann ein friedliches Herz in Gottes Güte fassen und sich gegen Sünde und ewigen Tod trösten. Diesen Trost betont der Prophet, und auch Christus selbst weist darauf hin, wie wir gehört haben.

Ebenso predigt der Prophet Sacharia, Kap. 9 (V. 11 f.): "Du lässt durch das Blut deines Bundes deine Gefangenen aus der Grube, in der kein Wasser ist, so kehrt euch nun zur Festung, die ihr auf Hoffnung gefangen liegt." Die Grube, in der die Menschen gefangen liegen, ist die Sünde und die Strafe der Sünde, nämlich die Tyrannei des Teufels und der ewige Tod. Sacharia sagt, dass wir aus dieser Grube nicht heraus kommen können, wenn nicht Gott einen Bund mit uns macht. Und zwar nicht durch das Blut von Kühen oder Ochsen, sondern durch das Blut des gerechten und selig machenden Königs. Wer nun diesen Bund des Blutes nicht hat, der muss in der Grube unter der Sünde und im ewigen Tod bleiben, wer ihn aber hat, der soll aus solcher Grube des Zornes Gottes zu Gnaden und zum ewigen Leben kommen.  

Daniel, Kap. 9 (V. 24) predigt so: "Siebzig Wochen sind bestimmt über dein Volk, und über deine heilige Stadt, so wird dem Übertreten gewehrt, und die Sünde zugesiegelt, und die Missetat versöhnt, und die ewige Gerechtigkeit gebracht." Wie das geschieht, erklärt er danach, nämlich das Christus getötet werden soll.

Das ist auch ein klarer, heller Spruch, dass man zur Vergebung der Sünden und zur Gerechtigkeit auf keine andere Weise kommen kann, als nur durch den Tod Jesu Christi. Dieser ist es, der diesen Schatz zu uns bringt. Ausserhalb von ihm können wir nimmermehr dazu kommen. Also zeigen alle Predigten von Johannes, vom Herrn Christus selbst, und der heiligen Propheten zu genüge, wie man von dem Leiden Christi recht predigen soll, nämlich dass die Herzen daraus lernen sollen, sich aufgrund der Güte und Gnade Gottes zu trösten. Denn dieses Leiden ist geschehen, dass dadurch für unsere Sünden bezahlt würde, dass wir mit Gott versöhnt und schliesslich in solchem Glauben an unseren Herrn und Erlöser Christus selig würden.

Auf diese Weise haben die heiligen Apostel vom Leiden unseres Herrn Jesu Christi auch gepredigt, wie man es in ihren Schriften und Geschichten findet. Und weil es viele solche Sprüche gibt, wollen wir uns jetzt nur diesen vornehmen, welchen ihr zu Beginn aus dem 5. Kapitel an die Römer gehört habt. Das ist an sich selbst ein klarer Spruch, den jedermann wohl versteht. Aber wir wollen ihn trotzdem ein wenig auseinander wickeln, dass er uns heller und lichter und auch tröstlicher sein möge.

Wir erleben es alle, wie tief der Unglaube in unserem Herzen steckt, dass wir wegen unseren Sünden nie recht zufrieden sein können, wir denken ständig: Wenn du frömmer wärst, so würde es besser um dich stehen, so könntest du gewiss auf Gottes Gnade hoffen dürfen. Wo die Herzen so voller Zweifel sind, da muss Angst und Mutlosigkeit sein. Anders herum, wenn wir fest glauben und auf Gottes Güte recht vertrauen könnten, da würden unsere Herzen sich auch in allen Problemen an solchen Trost halten, fröhlich und guter Dinge sein.

Aber es gelingt einfach nicht. Deshalb hat der Papst soviel Gottesdienst eingerichtet, damit alle Leute Vertrauen zu Gott fassen sollten und weniger an Gottes Hilfe verzagen. Daher entstand das Anrufen der Heiligen, Wallfahrten, Ablass kaufen, Messe, das Klosterleben und allerlei andere Abgötterei. Wer all dies tat, der dachte, er würde ihm im Himmel dafür belohnt werden, und er könne dadurch selig werden.

Es ist allerdings wahr: Auf nichts soll ein rechter Prediger mehr Acht geben und grösseren Fleiss verwenden, als wie er die Leute zum rechten Vertrauen auf Gott bringen könne und solchen Unglauben aus ihrem Herzen reisse. Wie man dies aber recht und meisterlich tut, sieht man hier an den Worten des Paulus, der das gewisse Zeugnis von unserem Herrn Christus hatte, dass er ein rechter Prediger und ein erwähltes Werkzeug sei, um das Reich Gottes zu pflanzen. Deshalb sollen wir auf seine Worte gut Acht geben.

Erstens spricht er: "Gott preist seine Liebe gegen uns." Das scheint ein seltsames und unglaubliches Wort zu sein, aber wir werden hören, dass es tatsächlich ein teures, wahres und wertvolles Wort ist. Denn es ist wahr, dass Gott die Sünde hasst und sie strafen will. Dies wird vom Gesetz und der täglichen Erfahrung bezeugt. Nun müssen wir aber bekennen, dass wir alle Sünder sind. Das ist der Grund für den Unglauben, dass wir es nicht glauben können, dass Gott uns lieb habe. Wenn wir aber hören, Gott habe die Menschen lieb, da denken wir sofort an Johannes den Täufer, Petrus, Paulus und andere, die frömmer gewesen sind als wir. Von uns selber aber können wir nicht glauben, dass Gott uns lieb habe, sondern wir fürchten uns vor seinem Zorn. Dagegen ist nun dieses Wort des heiligen Paulus gerichtet, dass er nicht nur spricht: "Gott hat uns lieb", sondern: "Gott preist seine Liebe", das heisst, er macht sie gross und so gewiss und offenbar, dass es nicht möglich ist, dass ein Mensch daran zweifeln könnte. Denn bedeutet das nicht ein Beweis seiner Liebe, dass er seinen Sohn Christus für uns sterben lässt, die wir noch Sünder waren? Höre dieses Wort, und merke und behalte es wohl. All deine Sorge und Anfechtung ist, dass du ein Sünder bist, sonst würdest du dich an der Gnade und Freundlichkeit Gottes besser trösten können. Aber, lieber Mensch, besinne dich doch und höre hier Paulus zu, der sagt, Christus sei für uns Sünder gestorben.

Wer ist nun Christus? Er ist Gottes Sohn. Was tut er? Er wird Mensch und stirbt. Wofür stirbt er?  Für die Sünder. Daraus muss doch folgen, dass Gott gegen die Sünder nicht übel gesinnt ist, dass er sie um der Sünden willen nicht verderben lassen will, sondern er hat sie lieb und zwar so lieb, dass er ihnen aus Sünde und Tod helfen will. Denn für uns lässt er seinen eingeborenen Sohn sterben. Wie könnte er uns denn seine Liebe gewisser beweisen? Also hat Paulus ja Ursache genug zu sagen: "Gott preist seine Liebe gegen uns", damit wir sie für eine grosse, hohe und ausgezeichnete Liebe halten müssen und ja kein Mensch daran zweifeln kann, dass Gott uns gnädig sein will und mit uns nicht zürnen kann. Denn wer wollte sich da vor dem Zorn fürchten, wenn Gott für uns seinen eingeborenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn in einen so schmählichen Tod gegeben hat, und zwar für die gottlosen Sünder.

Diese Worte von Paulus stimmen genau mit der Predigt Christi aus Johannes 3,16 überein: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Wer nun dies weiss und glaubt, dass Gott ihn lieb habe, wie sollte sich dieser vor Gott fürchten können? Denn wer weiss nicht, was das Wesen der Liebe ist? Wo Liebe ist, da streitet und schlägt man sich nicht, man fürchtet sich nicht, sondern man hat ein festes und gewisses Vertrauen, dass, wenn Not entsteht, man gewiss Hilfe und Beistand finden würde und es unmöglich anders sein kann. Darum liegt alles daran, dass wir uns diese Liebe fest einprägen und sie uns weder nehmen noch wegdiskutieren lassen. Denn das ist der Hauptpunkt, an dem sich der böse Feind am meisten abmüht, dass er uns diese Liebe, die Gott zu uns hat, aus dem Herzen nimmt, und uns dahin bringt, dass wir nichts Gutes von Gott erwarten, sondern ihn für unseren Feind halten. Wo er das erreicht, da hat er gewonnen. Denn was will uns schützen oder retten, wenn wir Gott verloren haben? Dagegen müssen wir uns wehren. Wenn unser Gewissen und unsere Sünde uns solche Hoffnung auf die Liebe Gottes wegnehmen will, sollen wir uns hierher halten und diesen sicheren Beweis der Liebe in unser Herz fassen, dass Gott seinen Sohn für uns sterben liess, als wir noch Sünder waren. Daraus folgt ja, dass Gott es mit den Sündern nicht böse meint, sondern sie lieb hat und ihnen auf das Beste helfen will.

Das ist nun ein Trost, welchen wir gemäss Paulus an dem Tod Christi und an seinem Leiden haben, und an welchen wir uns trösten sollen. Wenn uns unsere Sünden traurig machen und unser Herz zweifeln will, ob Gott uns auch gnädig sei und uns lieb habe, da sollen wir schliessen und wissen, dass Gott nicht gegen uns ist und wir uns deshalb nicht vor ihm zu fürchten brauchen, sondern er hat uns lieb. Denn er hat für uns seinen eingeborenen Sohn in den Tod gegeben, darum können wir uns an seiner Gnade und Hilfe gewiss trösten.

Ja, sprichst du, es ist wohl wahr, dass Gott seinen Sohn für mich in den Tod gegeben hat, aber wie oft habe ich mich solcher Gnade unwürdig gemacht durch meine Sünde? Deshalb, auch wenn Gott mich aufgrund des Todes seines Sohnes vorher lieb gehabt hat, so ist er jetzt doch aufgrund meiner Sünden gegen mich. Nein, spricht Paulus, lass dich von solchen Gedanken nicht verführen, sondern halte dich hierher an diesen Trost: Christus ist für dich gestorben, als du noch ein Sünder warst, dies merke wohl. Was aber hat sein Sterben ausgerichtet? Das hat's ausgerichtet, dass du durch sein Blut gerecht geworden bist. Wenn nun Gott dich lieb gehabt hat, als du ein Sünder warst, und so viel für dich gewagt hat, dass er seinen Sohn für dich in den Tod gegeben hat, wie viel eher und mehr will er dich vor dem Zorn bewahren, nachdem du durch das Blut Jesu Christi gereinigt worden bist?

Mit diesen Worten erklärt Paulus, dass unsere höchste Anfechtung darin besteht, dass wir uns sorgen, Gott zürne mit uns. Dagegen tröstet er uns, indem er sagt: Wenn Gott nicht gezürnt hat, als du ein Sünder warst, wie viel weniger wird er jetzt zürnen, weil du durch den Tod seines Sohnes von Sünden abgewaschen bist. Das ist eine ausgezeichnete Predigt gegen den Unglauben, der aufgrund der Sünde in unseren Herzen zu finden ist. Aber solches ist noch nicht alles, Paulus schliesst noch einen grösseren und höheren Trost aus dem Sterben Christi und spricht:

"So wir denn Gott versöhnt sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Sünder waren, viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnt sind."

Ach Gott, dass wir doch diesen Trost recht in unser Herz einschliessen könnten. Es ist eine wahrhaft grosse Tatsache, dass Christus für die Sünder stirbt, denn durch diesen Tod sind wir ja von Sünden frei gemacht. Wenn wir nun den Tod unseres Herrn Jesu Christi so sehr geniessen, sollten wir denn nicht auch sein Leben geniessen? Wenn er für uns gestorben ist, und sein Tod uns zum Besten dienen musste, so wird unser lieber Herr Christus sein Leben, darin er jetzt ist, wahrlich auch dahingehend verwenden, dass es uns zu Gute komme, dass wir in Gnaden erhalten, gegen den Teufel und die Welt geschützt, und im Glauben von Tag zu Tag zunehmen werden. So sehen wir auch, dass die lieben Apostel uns immer wieder auf die fröhliche Auferstehung unseres Herrn Christi weisen, dass wir uns daran trösten sollen und die Hoffnung haben, dass er uns nicht los lassen würde, sondern darum in den Himmel aufgefahren sei, dass er uns Gaben geben und seine Christen in allen Gnaden regieren und gegen alle Anfechtung schützen wolle.

Auf diesen Trost weist Paulus auch hier, und will, dass wir uns nicht mutlos machen lassen sollen, weil Gott seine Liebe gegen uns gepriesen hat, als wir noch Sünder waren, und seinen Sohn für uns sterben liess. Weil er denn dieses sein höchstes Gut für uns eingesetzt hat, als wir noch Sünder waren, wie viel mehr wird er es für uns einsetzen, da wir nun zu Gnaden gekommen sind und durch den Tod Christi von Sünden gerechtfertigt sind.

Des Weiteren soll das Leben unseres Herrn Christi dazu dienen, dass wir vollends selig werden sollen. Deshalb fasse ein gutes Herz gegen Gott, der dich so wunderbar lieb gehabt hat, als du noch ein Sünder warst, und vertraue ihm, dass er dich um Christi, seines Sohnes willen, in aller Anfechtung erhalten und nicht sinken lassen wird, sondern dir das ewige Leben gibt. Dieser Glaube ist der höchste Gottesdienst, deshalb sollen wir auch fleissig darum bitten und uns fest und ernstlich daran halten.

Nun beschliesst Paulus solche Trostpredigt und spricht: "Wir rühmen uns Gottes, durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen haben." Die Versöhnung, so sagt er, haben wir durch den Herrn Jesus empfangen. Denn wegen unseren Sünden konnten wir nichts Gutes von Gott erwarten. Weil aber die Sünden durch den Tod Christi hinweg sind, wissen wir, dass Gott nicht mehr mit uns zürnt, er ist unser Freund, ja unser lieber Vater. Was soll nun aus solcher Versöhnung folgen? Nichts anderes, als dass wir uns über diesen gnädigen, freundlichen Gott, der die Liebe selbst ist, freuen sollen, ihn rühmen und unser Vertrauen und Herz in allerlei Not und Anfechtung auf ihn setzen.

Wenn wir nun Gott zum Freund haben, was kann uns schaden? Was kann uns bekümmern oder ängsten? Die Sünde ist gesühnt, Gott ist mit uns zufrieden, Christus ist zur Rechten seines Vaters und vertritt uns. Und auch wenn der Tod kommt und uns zeitlich würgt, so wissen wir doch, dass wir durch Christus wieder zum ewigen Leben auferweckt werden sollen. Darum, es gehe den Christen hier auf Erden so schlecht es wolle, so müssen sie doch im Geist fröhlich sein. Und sie können nicht anders als ihren Vater im Himmel rühmen, sich auf seine Liebe und Gnade verlassen und sich seinem Schutz anbefehlen. All dies haben wir nur durch die Versöhnung, die durch den Tod Christi geschehen ist.

Was ist das aber für ein gräulicher Jammer, dass der Papst und sein Haufe diese Versöhnung unbeachtet lässt und stattdessen die Leute auf eigene Werke und Menschenverdienste weist, also sollte man dadurch zu Gnaden kommen und einen gnädigen Gott kriegen? Deshalb können wir Gott wohl von Herzen danken, dass wir von solchem Irrtum erlöst sind und durch so viele herrliche Zeugnisse im alten und neuen Testament sehen können, wie wir das Leiden Christi bedenken und uns an daran trösten sollen. Wenn uns dann die Sünde anficht, sollen wir uns hierher halten und sprechen: Wenn ich kein Sünder wäre, dann hätte Christus nicht für mich leiden müssen, weil er aber gelitten hat, tröste ich mich an seinem Leiden. Damit ehrt man Gott und dankt dem Herrn Christus. Wir können nichts tun, als nur solche Gaben mit Danksagung annehmen, die er uns durch seinen Tod erworben hat. Danach soll daraus auch folgen, dass wir uns vor Sünden hüten und davon ablassen sollen und in Glauben, Liebe, Hoffnung und Geduld in allerlei Anfechtung uns üben und von Tag zu Tag zunehmen. Dies ist auch eine Frucht, die aus dem Leiden Christi fliesst, denn wir sollen ihn nicht nur als ein Geschenk, sondern auch als ein Vorbild und Beispiel ansehen, dem wir folgen sollen, mit der Liebe zum Nächsten und dem Gehorsam zu Gott. Aber davon ein anderes Mal mehr. Jetzt wollen wir Gott anrufen, dass er durch seinen heiligen Geist den Glauben in uns anzünden wolle, uns erhalten und ewig selig mache. Das schenke uns unser lieber Herr und Gott, durch Jesus Christus, unseren Erlöser. Amen.

©2020 Gottes Gnade verstehen.

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